2/27 -GEGEN HEUCHELEI

Mein 2.Grund fürs vegane Leben hat sich gestern spontan ergeben: Im Warteraum eines medizinischen Zentrums blätterte ich in der Tageszeitung. Wenig später stellte die resolute Ernährungsberaterin klar, dass es ohne Milchprodukte wirklich sehr schwierig sei, auf genügend Protein zu kommen, denn im Gemüse seien die ja nicht drin. Und Fleisch würde ich ja auch nicht essen. Nein, sagte ich, dunkle Schokolade hat genau so viel Eisen wie das meiste Fleisch, ausgenommen Leber. Sie meinte, da müsse ich aber dann gaaanz viel Schokolade essen. Ich meinte, sie aber auch gaaanz viel Fleisch… Ich habe mich gefragt, ob sie den Unterschied zwischen Frutariern und Veganern kennt…

Also da habe ich die traurige Nachricht in der Zeitung gelesen: Ein Kälbchen hat seine Mutter verloren, weil unachtsame Menschen Müll auf die Kuhweide geschmissen haben. Das ist wirklich sehr traurig und wäre vermeidbar.

WAS IST HIER FLASCH?

A: Eine Kuh stirbt, ein Kälbchen verliert seine Mutter = ENTSETZLICH! Ein Aufschrei geht durch die Medienlandschaft. Die ganze Facebook-Nation ist in Trauer und bei BLICK hagelt es Kommentare.

http://www.express.de/news/panorama/facebook-trauriges-foto–kaelbchen-trauert-um-seine-mama—schuld-sind-muell-suender-23933072?dmcid=f_msn_web

http://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/schweizer-trauern-mit-kaelbchen-lara-um-mutter-agnes-kuh-verendet-klaeglich-wegen-abfallsuender-id4944650.html#community_article_comments_default_4944650

B: Jedes Jahr verlieren 500’000 Kühe allein in der Schweiz ihr Kälbchen gleich nach der Geburt = SO WHAT?? Niemanden interessiert’s – ausser die aus tierethischen Gründen ohne Milchprodukte lebenden Veganer/innen. Und die sind ja so extrem, die kann man nicht ernst nehmen…

Ja, ich weiss: es ist gesünder, FÜR anstatt GEGEN etwas zu sein. Aber gegen dieses geheuchelte Entsetzen und den Zynismus darf ich schon sein, finde ich. Die Wut darüber setzt auch durchaus wertvolle Energie frei, die bei vorhandener Fähigkeit zur Reflektion sogar konstruktiv genutzt werden kann. Zum Beispiel für diesen Text.

 

 

1/27 – WELT RETTEN

20.04.16Eigentlich sollte und wollte ich einen Jubiläums-Post schreiben. Es sind diesen Monat genau 2 Jahre, dass ich meinen Blog und mein zweites Leben begonnen habe.

Ja ,so fühlt es sich tatsächlich an: wie ein neues Leben. Die Sicht auf die alltäglichen Dinge trübt oder klärt sich, je nachdem.

Der Blick auf Gewohnheiten ist einerseits mit einer Angst vor dem Unbekannten, dem Unsichtbaren verbunden. Das Augen öffnen ist schmerzhaft. Hinschauen tut weh. Wegschauen ist leicht. Ignorieren geht nicht mehr. Das eigene Handeln reflektieren und anpassen ist die einzige mögliche Konsequenz.

Andererseits ist vegane Ernährung vergleichbar mit dem Erlernen einer neuen Sprache, die Spass macht: Die Wortschatzerweiterung ist immens. Seit 2 Jahren entdecke ich praktisch wöchentlich neue Leckereien und Genuss, der nicht selten Suchtpotenzial birgt. So zum Beispiel die neue Kokoseis-Kollektion in der MIGROS: Feinster Genuss und das ohne Kuhmilch 😉

Von Abnehmen kann keine Rede sein. Muss ich ja auch nicht. Ich fühl mich wohl in meiner Haut und lass den Tieren ihre.

27 tolle Nahrungsmittel, die ohne Tierleid hergestellt wurden und erst noch umweltschonender sind als tierische Produkte, könnte ich natürlich locker aufzählen.

Hab jetzt aber grad nicht so viel Zeit, um all die Bilder dazu zu copypasten. Also fang ich mal an mit einem der 27 Gründe, die Carl Jakob Haupt und David Kurt Karl Roth nennen. Die Beiden sind Deutschlands frechste Modeblogger – http://dandydiary.de/ und Veganer. „Aus reinen Trendgründen“, so ihr Scherz. Stimmt nicht ganz. Im Beitrag in der „Welt am Sonntag“ vom 17.April 2016 lassen sie so richtig die Sau raus.

Ich beginne mit ihrem Grund Nr.3:

WELT RETTEN  – Die Welt zu retten war nie einfacher. Man muss nicht mal was tun, sondern einfach nur etwas lassen: Tiere zu essen. Das hilft gegen die globale Wasserknappheit, spart CO2, nervt multinationale Mega-Unternehmen und die Pharma-Industrie, stärkt lokale Ökonomien. Weltrettung durch Unterlassung: easy!

Das hat Hagen Rether, einer der tollsten deutschen Komiker, in seinem Programm so formuliert:

Ja, ich gehöre auch zu denen, die überzeugt sind, dass unser Handeln Spuren hinterlässt. Mehr als den leidigen ökologischen Fussabdruck, den wir mit viel zu grossen Schuhen hinterlassen. Ich will nicht aufgeben. Lieber rette ich die Welt, so lange ich noch kann. Pestalozzi hätte noch ein Apfelbäumchen gepflanzt am Tag vor seinem Tod. Ich würde vielleicht an dem betreffenden Tag noch einen Strassenhund adoptieren. Und mit ihm eine wunderschöne Wanderung machen wie heute mit meiner Spanierin CARA im Osterglocken-Meer in Les Prés d’Orvin.

 

 

 

 

Bist du bereit hinzuschauen?

Es ist jedes Mal dasselbe. Ich fahre vorbei und frage mich: Soll ich schauen oder nicht? Nur selten fahre ich dran vorbei und merke danach, dass ich nicht dran gedacht habe.

Es ist nicht viel zu sehen. Da ist ein Hof. Es hat einen Kuhstall. Man sieht den riesigen Misthaufen und das Förderband, das den Mist transportiert. Durch die Stallöffung kann ich Kuhkörper sehen. Die Kühe sieht man nicht wirklich gut. Sie sind immer im Stall. Seit Wochen. Seit Monaten. Wie lange eigentlich schon? Ich frage mich, ob ich sie schon mal draussen auf der Wiese gesehen habe. Da stehen ab und zu Rinder und Kälber, aber Kühe? Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Das Schweizer Tierschutzgesetz erlaubt das Anbinden von Kühen im Stall an 270 Tagen im Jahr. An 90 Tagen müssen die Kühe raus gelassen werden. Wenn es ein Freilaufstall ist, müssen sie gar nie raus auf die Weide, ins Gras.

Wegschauen ist so einfach. Hinschauen ist so schwer. Aber hinschauen und so tun als ob man nichts gesehen hat, ist unmöglich.

Heute hab ich geschaut. Im Vorbeifahren, eine halbe Sekunde. Das war ausreichend. Ich sah ein ganz kleines Kälbchen. Es war nicht im Stall bei der Mutter, um die Milch zu trinken, die diese nun während etwa 9 Monaten für ihr Kind gibt. Es war bereits von seiner Mutter getrennt, in Einzelhaltung im Iglu. Das Kälbchen war braun. Es war so klein. Ich vermute ein paar Tage alt.  Ich wusste, es ist ein Stierkalb. Man hatte es der Mutter weggenommen so wie immer, wenn man mit Tieren Geld verdienen will. Das Kälbchen wird niemals Milch geben. Für Fleisch ist es die falsche Rasse. Also wird es bald sterben müssen, sonst kostet es ja nur Geld.

Ich habe doch tatsächlich bis heute ein bisschen naiv geglaubt, dass das in meiner nächsten Umgebung, in dieser idyllischen Natur, nicht passiert. Oder dass die betreffenden Landwirte es besser machen.

Heute ist wieder mal eine kleine Welt in mir zusammen gebrochen. Ich frage mich, ob ich wirklich die Einzige bin in diesem Dorf, die sieht, was da passiert. Oder ob ich nur die Einzige bin, der es nicht egal ist. Aber wenn auch nicht – was sollte ich denn tun? Es ist in unserem ach so strengen Tierschutzgesetz erlaubt, der Mutter das Kalb nach der Geburt wegzunehmen und nach 21 Tagen zu schlachten. Ein toller Fortschritt: bis vor kurzem durften Kälber schon mit 7 Tagen getötet werden. Wem nützt das wohl?

Etwas später in meinem Garten am Arbeiten: Ich höre eine Kuh brüllen. Immer wieder. Der Hof liegt 400 Meter Luftlinie von mir entfernt. Ich stelle mir vor, wie das Kalb eingeladen wird. Die Mutter riecht es, hört es, sieht es vielleicht sogar.

Auf dem Hof sehe ich manchmal Kinder spielen. Ich frage mich, wie man Kindern erklärt, dass es normal ist, einer Mutter ihr Baby wegzunehmen.

Morgen werde ich mich wieder fragen: Soll ich schauen oder nicht? Wird das Kälbchen noch da sein? Aber eigentlich weiss ich es schon.

Das Unrecht des Mächtigen.

Das Unrecht des Profits.

Und das Unrecht einer pervertierten Genusssucht.

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Bist du ein Kalb? Ist deine Mutter eine Kuh?